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Зов к духу

Michael Georg Conrad

Denkst Du daran?

(Der Ruf – Heft 3,4)

Mit dieser Frage rüttle und schüttle ich meine Übermüdung und Enttäuschung durch den Alltag ab, der mich bis ins hohe Alter mit einem Netz von Verpflichtungen jeglicher Art unentrinnbar umstrickt, damit das ermattete Auge sich wieder öffne, das betäubte Ohr sich neu schärfe und spanne, das zum Entschlummern geneigte Gewissen erwache. Denkst Du daran? Packt Dich diese Frage wie ein jäher Weckruf, der durch Nacht und Traum bricht, meine liebe Seele, und Dich nicht mehr losläßt? Stell’ Dich nicht dumm, Du wirst beobachtet!

Und meine Hand blättert in einem schmucken kleinen Buch, auf dessen Titelseite diese aufschreckende Frage mir förmlich ins Auge brannte. Gleichgültiger, verdrossener, abgestumpfter, elender Bildungsmensch von gestern und heute: Denkst Du daran? Woran? Wär’s nicht besser, alles Denken auszulöschen, alles Lesen und Grübeln zu verabschieden, allem die Schwelle zu verbieten und die Tür zu verriegeln, was Dich um den letzten Rest Deiner Gemütsruhe, den Du aus allen Katastrophen und Zusammenbrüchen Deines von der Problematik alles Weltanschaulichen und Kämpferischen verwirrten und zu totermüdeten Lebens gerettet? Denken und immer wieder denken? Wozu alles wieder durch Hirn und Herz jagen, was Dich solange als Wissensdunst umnebelt, bis all die leuchtenden Ideale Deiner Jugend darin erblindet und versunken schienen?

Iß und trink, liebe Seele, wie es in jenem Gleichnis des Evangeliums heißt, und fasse neuen Mut! Halte Dich ans Materielle, Handgreifliche, an den genießbaren Besitz, den Du in Scheunen, Kellern, Schränken und Kassen zu sammeln vermochtest. Diese zu erhalten, zu mehren, zu sichern und, wenn es mit Dir zu Ende ist, klüglich zu vererben, damit auch andere sich mit dem „ungerechten Mammon“ etwas gönnen und Dir den Nachruf eines vorbildlichen Menschen und Wohltäters Deiner Zeitgenossen bereiten!

Und die liebe Seele steht ergriffen! Sie feiert in ihrer gottverlassenen Wahnseligkeit wirklich noch ein Fest und entzückt sich an der Vorstellung, daß es Tausende in betörender Einmütigkeit mit ihr feiern. Siehe da, ein wahrhaft mystisch-religiöses Erlebnis, fern und unzugänglich aller störenden Verketzerung durch äußerlich noch herrschende Buchstabenmoral und Katechismus Weisheit! Und nicht ein Tröpfchen

Wermut fällt in diesen Freudentaumelkelch dieser unbekümmert zechenden, tanzenden, bubiköpfigen, kurzgeröckten, sportvernarrten Normalmenschlichkeit im Schall-und Rauschzustande ihrer absoluten Modernität? Jenseits von gut und bös tollt sie sich mit nachtwandlerischer Sicherheit aus, unerreichbar für die Kontrolle ernster Aufklärung durch wissenschaftliche Forschung im Bereich des Seelischen und Geistigen, durch kulturschöpferische Philosophie, Kritik und Experiment jener, die aus heiliger Berufung zu Führern aus diesem Irr- und Wirrsal ihre prophetische Stimme mit dem Ruf zur Umkehr durch die trostlosen Wüsteneien dieser sich selbst vergeudenden und zerstörenden Pseudokultur-Menschheit erschallen lassen? Denkst Du daran? Ach nein, der im Hirn und Herz zusehends verarmende, in seinen Machtwahn der Natur- und Weltbeherrschung eingekerkerte Modernitäts-Normalmensch hat anderes auf seinem Programm. Das wäre ihm abwegiges Denken und Wissen, das ihn nicht in seinen Torheiten bestärkte, ihn nicht in seinen Lüsten und Genüssen steigerte, mit neuen Sensationen fütterte und mit immer tolleren Wahnbildern als den Herrn und Bezwinger und Nutznießer alles Irdischen reizte, bestrahlt vom bengalischen Glanz der ihm hörig gewordenen Zeitungs-Feuerwerker, und als einer der obersten Zehntausend neidvoll umjubelt vom Beifall der Kleinbürgerschaft, die ihrem knauserigen Schicksal in den Ohren liegt, ihr doch zu helfen, daß sie endlich jener Lebenshöhe der gottvoll Auserwählten auch teilhaftig werde.

Inzwischen aber, Du,nach dem Teufelstand der obersten Zehntausend Deiner Narrenwelt hungernde armselige Philisterseele, iß und trink und verdaue, was Dir die Umstände Deiner politisch und wirtschaftlichen Gegebenheiten in ihrer freistaatlichen oder faschistischen, oder gar bolschewistischen Fortentwickelung beschieden, fasse Mut, immer neuen Mut, Deine Ohnmacht in Macht, Deine Gebundenheit und Unzulänglichkeit in himmelstürmende Freiheit und höchstpersönliche geniale Willkür umzulügen — neunmalheilige Lebenslüge! — so wirst Du bei fleißiger Übung alle aufkeimende Angst und Unruhe aufwühlenden Denkens, Wissens und Urteilens zu bannen, niederzutanzen, niederzutrampeln vermögen, mit und ohne Jazzmusik. Hier erfüllt sich der Sinn Deines Daseins, hier ist Grund und Maß für Sicherheit, Stolz und Würde, wie sie Dir angemessen, Tausende und Abertausende handeln und wandeln einträchtig mit Dir, eine majestätische Gemeinschaft umschließt Dich, eine unüberwindliche Mehrheit, eine unantastbare Herde, sich selbst sakrosankt, eine kompakte Masse.

Darum lasse der Welt ihren Lauf, jener strengen, gesetzes-pflichtigen, opferfordernden, auf rauhen Pfaden zu den Ster nen führenden Welt, und verharre in der Deinen, Dir ge mäßen — lebe Dich aus! Rege Dich nicht auf über Welt geschichte und Weltgericht; Du selbst machst keine Geschichte mehr und Dein Gericht vollziehst Du an Dir selber. Du verzehrst Dich mit den Kräften, die Dich und Deine Zeit bewegten. Weißt Du, wie das ward? Was galt Dir das Wissen, da Du nur am Instinkte, am Triebe, an der Routine hingst? Woran solltest Du denken, da Du es Ewige nicht kanntest, das nur Liebe ist und Heldisches und Heiliges und von keinem Tod überwupden werden kann? —

Meine Hände haben in einem kleinen, schmucken Buch geblättert, von dem ein geheimer Zauber ausging. Und wie ich fühlte, daß die Macht einzelner Sätze und schon die Wucht seines Titels meine Gedanken entführte, mit Visionen erfüllt, legte ich es still nieder, ergriff die Feder und schrieb zu meiner Befreiung — was der geduldige Leser oben überfliegen konnte. Damit ich wieder zu reiner Sachlichkeit leichter zurückfand, wählte ich den Umweg über ein altes Buch, darin ich die folgenden Aussprüche von Fr. W. I. v. Schelling fand, des großen Philosophen, dem die Dankbarkeit seines königlichen Schülers Maximilian II. von Bayern, kurz nach dem Tode des Meisters, in der Maximilianstraße zu München das würdevolle, stolze Denkmal gesetzt.

Ich zitiere wörtlich: „Die Deutsche Nation strebt mit ihrem ganzen Wesen nach Religion, aber ihrer Eigentümlichkeit gemäß nach Religion, die mit Erkenntnis verbunden und auf Wissenschaft gegründet ist. . . . Wiedergeburt der Religion durch die höchste Wissenschaft, dieses eigentlich ist die Aufgabe des deutschen Geistes, das bestimmte Ziel aller seiner Bestrebungen.“

Wiedergeburt der Religion durch die höchste Wissenschaft! Also durch Erkenntnisse, gewonnen durch jenen Komplex höchstmenschlicher Fähigkeiten, daran sich alles zu weltanschaulichem Wissen rundet, um dem Leben des Einzelnen und seiner Umwelt unverrücktbares Ziel zu geben und der Seele sichern Halt in Not und Tod, wie ihn nur der Glaube an geoffenbarte Wahrheit den ganz auf Religiosität eingestellten Menschen zu gewähren vermag — oder wie es auf Abdruschins erstem Hauptwerk „ Im Lichte der Wahrheit“ ankündigungsweise bezeichnet wird: „Neue Gralsbotschaft.“ Ihr dient dieser „Ruf“, der in seiner Druckerscheinung sich kurz und unzweideutig als „Schrift für alles fortschrittliche Wissen“ Allen anbietet, die ihn als Zeichen und als Kraft der Befreiung aus den Schlingen hohler Gassen — und Marktweisheit empfinden, armseliger Wissenswürdigkeiten ohne lebenfördernden, ewigschöpferischen Gottesgeist. Als „fortschrittliches Wissen“ kann sich nur bewähren und in Geltung erhalten, dessen Summe den Menschen in seinem Eigensten und Ursprünglichsten vollendet, im Zusammenhang mit den Ewigkeitswerten der Dinge erhält und damit den Ring seiner lebendigen Entwicklung unzerreißbar schließt. Damit ist alles abgewiesen, was die Sehnsucht jener „trockenen Schleicher“ befeuert, die wie der Famulus von Goethes Faust zwar Vieles wissen, aber imgrunde Alles wissen möchten, um auf Schleichwegen hinter die ewigen göttlichen Geheimnisse zu gelangen, bis in ihrer frevelhaften Schulmeister-Aufdringlichkeit Wissen und Wille in Eins zusammenfällt — in ihrem persönlichen Nichts.

Wie verhält sich’s nun mit jenem schmucken lieben Buch, das mich so tief beeindruckt, daß ich’s immer wieder in die Hand nehmen muß, um mich zu Gedankengängen von kritischer Rücksichtslosigkeit gegen alle Welt reizen zu lassen — nicht zum wenigsten gegen Dich selbst, liebe suchende Seele, die mit mir schließlich übereingekommen, daß in all dem systematischen Formelwesen der überlieferten Staats- und Obrigkeitsgemeinschaften in Verwaltung, Bildung, Erziehung, Wirtschaft usw. blutwenig von den Elementen zu finden ist, aus denen allein die höhere Kultur des heutigen Menschen sich erbauen kann — Heilsbotschaft für Alle, ohne an Privileg und soziale Schicht gebunden zu sein, an kein Oben und Unten, keine Klasse und keinen Stand! Heilsbotschaft für alle Furchtlosen, die mit dem Apostel Paulus an ihren befreundeten Mitmenschen zu schreiben vermögen (2. Timotheus 1, 7), was ihre unerschütterliche Überzeugung ist: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Zucht!“

Und damit los gegen die so jammervoll schief gewickelte Welt von heute mit ihrer Kraftlosigkeit, Lieblosigkeit, Zucht-losigkeit! Ihre Zeit ist erfüllt, sie ist reif zum Untergang, ihre Geschichte ist das Schandmal, das sie sich selbst gesetzt in ihrem perversen Willen zur Macht, der sich nun als Tollheit der Selbstzerstörung schreckensvoll enthüllt, voran in allen führenden Staaten beider Hemisphären.

Denkst Du daran? Und jetzt ist Ort und Zeit für Abdruschin’s Gralsbotschaft gegeben, und aus seinen Werken hat Professor Alfred Börckel in Mainz jene „Bausteine“ gesammelt und zusammengestellt, die er Dir und allen zum Neubau Berufenen und Willigen in dem lieben und schmucken Buch mit dem aufrüttelnden Frage-Titel darbietet! Eine Aphorismen-Sammlung, Merksprüche und Sentenzen von edler Sachlichkeit, kristallklarer Formung, ohne Pathos, ohne Schreibkunst zur Verführung der Hochgebildeten und Ästhetischen, nein, schlicht, geradeaus, schnörkelfrei, im gewohnten ehrlichen Deutsch, das allen redlichen Lesern und anständigen Menschen geläufig ist, welche eine Sache um der Sache willen wollen, ohne Verschleierung und Hinterhältigkeit. Und in reinen Händen wird dieses Buch seine Wunder wirken und in unreinen Händen wird es ein toter Klumpen sein — also ein Mittel zur Selbstprüfung für Arbeiter und Bauern, Handwerker und Staatsbeamte, Junker und Schlotbarone, und nicht zuletzt für jene Weiblichkeit, die durch das Recht der gewonnenen Gleichstellung mit dem Männervolk nach der siegreichen Frauenbewegung und Emanzipation ihr Pflichtbereich mit dem primären mutterschaftlichen Verantwortlichkeitsgefühl auf eine schwindelnde Höhe getrieben sieht, für Gutrassige und Sehleehtrassige! Hier gehts um Menschentum und um die Herrschaft der Sachlichen und Anständigen in allen Bezirken ewiger Kulturinteressen — und der Leser soll sofort merken, wenn er sich in dieses liebe, strenge, unerbittlich examinierende Buch hineingelesen, wie er mit sich selbst und den anderen daran ist.

Wer noch Brief und Siegel verlangt für Abdruschins Sendung, der beobachte seine Weise in Ton und Takt, wo er mit überlieferten dogmatischen Lehrmeinungen zusammenstößt, Schiefes geradrichtet, Verhärtetes erweicht und in neue Form bringt, ohne den guten Kern anzutasten oder ein religiöses Gefühl zu verletzen. Keine Frömmigkeit Altgläubiger kommt zu Schaden, wo und wie er Falsches und Zeitbedingtes ins Wahre und Vernünftige wendet und den lebendigen ewigen Geist über den tötenden Buchstaben erhöht. Wie gut paßt diese Weise Abdruschins zu Goethes orphischem Urwort: „Die Gottheit ist wirksam im Lebendigen, aber nicht im Toten, sie ist im Werdenden und Sichverwandelnden, aber nicht im Gewordenen und Erstarrten. Deshalb hat die Vernunft in ihrer Tendenz zum Göttlichen es nur mit dem Werdenden, Lebendigen zu tun, der Verstand mit dem Gewordenen, Erstarrten, daß er es nutze.“

Wie messianische Aufklärung wird’s über Dich kommen, wenn Du als richtiger Leser die Prüfung bestanden und das Zeugnis gewonnen hast: Treuer Gralsglaube an das siegende Licht des Wissens und der Wahrheit ist selber schon ein Sieg!

In dieser fröhlichen Hoffnung mach’ ich mir die reine sachliche Freude und drücke Dir das Aphorismenbuch von Hofrat Prof. Alfred Börckel in die Hand: „Denkst Du daran?“

Und nun Gott befohlen, lieber Leser! Und noch einen Gruß vom Cherubinischen Wandersmann unseres Angelus Silesius: „Mein Freund, so Du was bist, so bleibe ja nicht stehn! Du mußt von einem Licht fort in das andre gehn.“