Hermann Wenng
Erde
So steht zu lesen im Buche Mosis nach der Uebersetzung von Luther im 1. Kapitel Vers 28:
Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: „Seid fruchtbar und mehret Euch, und füllet die Erde und macht sie Euch untertan.”
Der nun dies liest wird es tun mit einem stolzen Gefühl, ja, und wie herrlich hat sich dies erfüllt an uns Menschen. Nicht alles, was da steht in dem Buche der Weisheit und Offenbarung, hat so Wort gehalten, als gerade das; es ist wirklich so: es hat der Mensch die Erde erfüllt mit seinesgleichen und keine noch so kleine, brauchbare Ecke dieses ihm überantworteten Planeten ist unbenutzt geblieben.
Alles auf Erden ist dem Menschen untertan und gehorcht ihm. Die wenigen Kleinigkeiten, die übrig geblieben sind, die ihm noch nicht restlos gehorchen. wollen, zählen kaum mehr. Das Pflanzenreich ist erforscht und ausgenützt, das Tierreich nicht minder; alles zähmte sich der Mensch und machte es sich nutzbar. Das sich nicht wollte zähmen lassen, das rottete er unnachsichtlich aus; es blieben kaum nennenswerte Reste davon übrig, die er jetzt aus einem Gefühl von Anstand heraus und der Kuriosität halber zu schonen gedenkt — ja, sogar teilweise zu züchten.
Das Mineralreich muß ihm, dem Herrn der Schöpfung alles geben, was er brauchen kann. Was ihm nützlich wer den könnte, erforscht er und beutet es aus. Auch wenn es die Erde bergen wollte in ihrem tiefsten Schoße und festhalten mit tausend Listen und Ränken — sie kommt gegen den Menschen nicht auf. Er entreißt es ihr dennoch.
Was sie vor Jahrmillionen in ihre Tiefen gezogen, muß sie preisgeben und fahren lassen; ob sie es auch tun möge mit Widerwillen und Getöse, was macht es aus? Sie muß es geben, ja, noch mehr als dies: der Menschen„geist”, sein Verstand, der „alles” durchdringt und jedes Rätsel löst, entreißt die tiefsten Geheimnisse, sorgfältig gehütet im und durch Kleinheit und Unsichtbarkeit raffiniert geschützt vor den Augen des Menschen. Ihre Werkstattgeheimnisse muß sie preisgeben, ob sie will oder und der Mensch macht es ihr nach, erzeugt, was und wie will und auf vielen Gebieten ist er ihr sogar überlegen geworden.
Ist sein synthetischer Gummi haltbarer, als der, den die Erde selber erzeugt? Er mischt mengt die Baustoffe, mit denen die „Erde” gearbeitet, er findet alles, was ihm Nutzen bringen soll und ihm nötig erscheint. Er beherrscht die Luft bis in die ihm notwendig erscheinen, daß er sie beherrsche; der Ozean, finsteren die sie mit Wassermassen zugedeckt, wird ihm, dem Menschen, geben müssen — und gibt ihm, was er haben will, die Luft selbst, dieses ihre Gase, zieht er auf Flaschen, bewahrt sie verwendet sie nach seinem Willen.
Gebunden liegt der einst so gewaltige Koloß, klein und unscheinbar zu des Menschen erhabenen Füßen. Ihre Größe schwand dahin, wie Wachs an der Sonne; seine Maschinen umbrausen sie, nicht mit Sturmeseile, sondern in einer Schnelligkeit, hinter der alle Stürme ohnmächtig zurückbleiben.
Nichts vermag ihn zu hemmen, noch zu hindern — was sie auch in ohnmächtigem Trotz aufwenden mag, sich zu bergen und zu retten vor ihrem Herrscher — es ist alles vergebens. Selbst dorthin, wo sie sich umpanzert mit Eis, setzt er seinen Fuß und pflanzt seine siegreichen Banner auf, sein Eigentumsrecht, das ihm der Herr verliehen hat, geltend zu machen.
Nichts vermag sie ihm vorzuenthalten, was sein ist. Alle ihre Kräfte, auch die gewaltigsten, machte er sich untertan, ihre Blitze müssen ihm dienen ohne Unterlaß, ihre Nacht macht er zum Tage, und ach, sie wird ihm, die einst unermeßliche, zu klein.
Die einst so Geheimnisvolle hat keine Geheimnisse mehr für ihn, die einst so unermeßlich Reiche hat kaum mehr etwas, das sie ihm bieten könnte, so viel er auch forscht und sucht und wühlt, es zeigt sich, daß es nichts Neues mehr für ihn zu entdecken gibt! Arm erscheint sie ihm und klein und er sinnt, wie er es vermöchte, über sie hinaus zu gelangen, ihr, die ihm zu arm, zu klein und zu eng geworden ist, zu zeigen, daß er sie nicht brauche, dass er auch ohne sie zu leben vermöchte — wo anders, wenn es ihr vielleicht gar einfallen sollte, ihn nicht mehr nähren und kleiden zu können.
Schon denkt er daran, auf Raumschiffen ihr zu enteilen, mit Projektil-Geschwindigkeit andere Weltenkörper — aufzusuchen und sie, wie die Erde, die ihm zu eng und zu klein geworden, seinem Willen zu unterwerfen, für seine Zwecke, für sein Leben auszunutzen.
Ja, der alte Herr über den Wolken, wie ihn sich die Menschen so gerne vorstellen, wenn sie sich überhaupt die Mühe nehmen, sich eine Vorstellung zu machen, wird mehr als zufrieden sein können! Sein Wort ist getreulich erfüllt; der Mensch hat sich offensichtlich die größte Mühe gegeben, es wahr zu machen: er hat sich vermehrt, er hat sich die Erde und alles, was auf ihr sich findet, untertan gemacht — ja mehr als dies!
Gott hat den Menschen sichtlich sehr unterschätzt; er hat doch mehr Kraft entwickelt, als man ihm zugetraut hätte, und nun denkt er, dieser verkannte Mensch, dieses Kraftgenie, sogar daran, sich der Erde zu entwinden, seine Macht darüber hinaus zu erstrecken — wenn es auch vorläufig nur interessante Spielereien sind, diese Ideen — er wird es sicher erreichen, denn was er sich einmal vorgenommen das schafft er auch, das hat er tausendfach bewiesen. Weshalb sollte es ihm, diesem Riesen der Schöpfung, gelingen?
So und ähnlich dürften wohl die Gedanken eines Lesers sein, wenn er in dem Buche der Bücher die an den Eingang gesetzten Worte des Buches Mosis zu Gesicht bekommt; es fehlt wirklich nichts an der Erfüllung dieses Gotteswortes. Oder doch? Ist es doch nicht so, wie es auf den Blick aussieht? Hat sich der Mensch doch nicht die und sich dienstbar gemacht? Schleicht nicht doch ein leiser Zweifel mit ein, dass es doch nicht so sein könnte?
Aber woran mag es da fehlen? Es ist doch kaum etwas übrig geblieben, das der Mensch von allen Gütern der Erde nicht zu seinem Nutzen und Vorteil auszubeuten und zu verwenden verstünde? Woher also etwa ein berechtigter Zweifel kommen könnte, ist nicht recht einzusehen, und dennoch wird sich bei vielen dieser Zweifel, kaum recht bewußt, aber doch vorhanden, bemerkbar machen.
Und in der Tat, dieser Zweifel ist nur allzu berechtigt, wie wir im Verlaufe genauer Ueberlegungen sehen werden. Freilich nicht in der Art, wie sie eben angedeutet wurden. Es fehlt ganz gewiß nichts auf der Tafel des Menschen, was noch irgendwie für ihn genießbar wäre, es fehlt nichts von allen Dingen, die diese Erde hervorbringt, in seinem Verzeichnis der nützlichen Dinge — er hat gewiß fast alles, das möglich war, verbessert, brauchbarer sich gestaltet und kann hochbefriedigt auf sein Wirken auf Erden in dieser Art zurückblicken — und dennoch — es stimmt nicht! —
Die Erde ist dem Menschen zu klein geworden. Es gibt nichts mehr auf ihr zu entdecken. Die Karten und Atlanten weisen kaum noch weiße Flecken auf. Wohl ist hier und dort noch etwas nachzuholen, zu verbessern, aber die große Arbeit ist getan und es muß der Mensch wohl seinen Geist auf neue Ziele lenken, sich nach einem lohnenden Feld für seine allumfassende Intelligenz umsehen, aber dennoch stimmt es nicht!
Eng ist diese Erde geworden für ihn, klein und arm, es verlohnt sich kaum noch auf ihr zu leben. Er kann sich nicht mehr regen auf ihr. Überall sind seinem Tätigkeitsdrange Grenzen gesetzt, Mauern aufgerichtet, überall stößt er sich, alles ist zu klein, er sieht sich eingeengt, seiner Freiheit beraubt. Keine Geheimnisse sind mehr aufzuklären, alles liegt so trostlos nüchtern vor seinen Augen, und aus der Perspektive seiner Flugzeuge gesehen schrumpft alles in ein Nichts zusammen.
Wenn sich nun das Vorahnen seiner Techniker ver wirklicht haben wird, daß er, der Erde Herr, den ganzen Ball in zwei, drei Tagen, vielleicht auch in einem zu um kreisen fähig ist, wenn er etwa in New-York zum Frühstück aufsteigt und Mittags schon in Bombay seine Geschäfte erledigt, was bleibt dann noch zu tun? Und wenn — oder sollte dies einem Zweifel unterliegen? — die jetzt so verworrenen Zustände in den menschlichen Einrichtungen, in seinem staatlichen und individuellen Leben wieder geordnet sein werden — so wird es wirklich schwer sein, für den immer mehr nach Vervollkommnung strebenden Menschengeist noch eine lohnende Beschäftigung auf dieser kleinen Erde zu finden.
Ja, wirklich, die Erde ist restlos unterworfen — aber dennoch, etwas stimmt nicht!
Es ist eine sonderbare Art um dies Suchen des Menschen, sich die Erde untertan zu machen. Fast möchte es scheinen, daß alle Anstrengungen verfehlt sind; woher diese krampfhaften, fieberhaften Anstrengungen, wo doch im Verhältnis dem bereits Geschaffenen so wenig mehr zu tun bleibt, wenn man annimmt, daß alle Schnelligkeiten noch vervielfacht werden, selbst wenn man annimmt, werden dass Maschinen gebaut werden könnten, die ganze Berge abzufragen imstande sein werden. Wird dann anders sein? Wird dann die Herrschaft über die Erde größer vollkommener? Was wird dann anders sein?
Wird Mensch, wenn er es fertig bringt, über den Bannkreis der Erde hinauszugelangen, mit Explosivkräften in den „Raum” vorzustoßen und schließlich auf anderen Weltenkörpern zu landen, dann wirklich über die Erde hinausgelangt sein? Wird er sich dann freier fühlen, mehr als Herr? Wird dann sein Streben nach Befreiung zur Ruhe kommen, dieses Streben nach Herrschaft, das dazu geführt hat, daß er sich die Erde nicht untertan machte, nicht nur dienstbar machte, sondern daß er sie ausraubte, tyrannisiert!
Und die Erde?
Diese Empfindung ist es, die denjenigen beschleicht, der mit offenen Sinnen diese Bibelworte liest: „Machet die Erde Euch untertan!
So hat die Menschheit das Gotteswort erfüllt, daß er die Erde ausraubte, daß er sie, die ihm Heimstatt werden sollte nach des Erhabenen Willen für die Zeit seiner Erdenwanderung, so weit er es vermochte, zugrunde richtete, ausraubte. Wohnlich sollte er sie sich gestalten zur Heimat — aber zum Jammertal ward sie ihm!
Klein, bedrückt, eingeengt empfindet er sich und all sein Streben nach immerwährend Neuem in der technischen Gestaltung seines Lebens, sein wie gepeitschtes Suchen nach immer weiterer Ueberwindung von Raum und Zeit, nach immer schnelleren Maschinen, nach immer gewaltigeren Treibmitteln, nach immer raffinierterem Genuß, nach immer weiterer Bequemlichkeit seines Lebens auf Erden sind nichts als unablässige Befreiungsversuche aus einer drückenden Enge, aus einem Gefängnis, das ihn von allen Seiten umgibt mit Gitterstäben.
Die Erde, die er sich untertan machen sollte, die er ausraubte und ausraubt, versklavt und erniedrigt, verhöhnt und beschmutzt, ist ihm zum Kerker geworden!
Niemand wird, trotz aller Beschönigungsversuche‚ diese Tatsache zu leugnen vermögen: zum Kerker ward dem Menschen die Erde, zum unentrinnbaren Gefängnis. Nicht der Mensch hat sich die Erde untertan gemacht, sondern die Erde sich ihn! Sie hält ihn fest mit tausend Klammern, engt ihn ein von allen Seiten, fängt an, ihn zu zermalmen!
Dies ist die uneingestandene Tatsache, vor der der Mensch heute steht, dies sind die Worte für die Empfindung, die einem jeden kommen muß, wenn er die Worte liest: „Machet die Erde Euch untertan!”
Der Mensch hat versucht, die Erde zu versklaven, und die Erde hat ihn versklavt — in einen Kerker gesetzt aus dem ihn nichts, nicht einmal der Tod, zu befreien imstande ist.
Dieses Gefühl, diese Empfindung der Unfreiheit, des Gefangenseins ist es, das den Menschen hetzt, ihn unablässig antreibt zu Befreiungsversuchen, Rund um die Erde, die ihm zu eng, zu klein geworden ist, rast er und versucht unablässig, Raum und Zeit, die Erde, zu überwinden.
Sie aber sieht ihm, ihren Tyrannen, hohnlachend zu: „Nur weiter, entrinnst nicht. Ich halte Dich, der mich entehrt, werde Dich vernichten?”
Dies ist das es, das den Menschen unablässig umtreibt, zu wahrhaft grotesk verzweifelten Anstrengungen veranlaßt. Er schuf einen Kerker aus der Erde. Er wird es mit Schrecken gewahr, daß sie ein Gefängnis für ihn geworden ist und will nun heraus. Was er aber auch tun möge, die Gitter geben nicht nach, unerbittlich stehen sie vor ihm, hinauf und hinab, wohin er sich wende, Mauern umgeben ihn!
Zu tiefst im Innern trägt er dieses Sehnen nach Freiheit, Erlösung, und alles, was er beginnt, was er sinnt — es entspringt Urgrund: Freiheit, Erlösung!
Mauern Gitter umgeben ihn; verzweifelt rüttelt er an ihnen. Wird er, der Mensch sie zu sprengen vermögen? Wird sich ihm, dem „Titanen”, der alles will, der sich alles vermißt, das Tor zur Freiheit öffnen? Wie wird es wenn er in Stunden nur jeden Punkt der Erde zu erreichen vermag?
Wie würde es sein, wenn er über den äußersten Luftkreis der Erde hinaus zu gelangen vermöchte, wenn er die starre Wüste des Mondes betreten könnte, wenn er irgend einem anderen, oder auch andere Planeten erreichte und fände sie leer und öde — oder auch voll Volk mit alle dem behaftet, an dem er selbst, der Erdenmensch, leidet, krankt und zugrundegeht? Oder er fände Glück und Zufriedenheit und vermöchte doch nichts anderes zuletzt, Krieg, Raub, Mord, Korruption und Lüge dorthin zu fragen?
Nichts würde sich ändern! Der Kerker öffnete sich nicht, je er, der Mensch, die Entfernungen zu sich heranzieht, je schneller die Räder laufen, größer die Kräfte sind, die ihm dienen sollen, desto kleiner und enger, desto wird sein Gefängnis werden, das er aus der Erde sich schuf!
Erlösung, Befreiung, schreit alles in ihm! Niemals verläßt ihn dieses Gefühl, nie kann er stille stehen, rastlos muß er nach Erlösung und Befreiung ringen und er doch, so viel er sich auch strebt zu betrügen und zu betäuben, daß alles vergebens ist, daß doch nur der Tot sein Los ist.
Es läßt sich nicht leugnen: dies ist der alleinige Grund allen menschlichen Tuns und Strebens auf Erden: sich zu befreien >von Last der Erde!
Nach Freiheit und Leichtigkeit strebt er. Die Schwingen will er regen, er will hinan und hinaus! Darum steigt er auf die höchsten Zinnen, darum will er Berge bezwingen auf ungangbaren Wegen, darum will er zum Ende des Luftkreises, der die Erde umgibt, darum will er darüber hinaus als höchsten Menschheitstraum, darum wühlt er sich in die Erde: um Erlösung von der Erde zu finden! Darum hat er das Todeskreuz aufgerichtet auf dem Berge, den er Golgatha nannte, das Todeskreuz, daß er das „Erlöserkreuz“ nennen mußte, aber nicht das „Erlösungskreuz“. Alles dies sind nichts als Versuche der Erlösung!
Erdrückend und erstickend legt die mißhandelte Erde sich auf den Menschen. Beherrschen, sich untertan machen sollte er sich die Erde, die grobe Stofflichkeit;statt dessen machte >er sie zu seiner Herrscherin, er versklavte sich ihr, erhob sie zu seinem Götzen, sah nichts mehr als sie, beschäftigte sich nur mehr mit ihr, erkannte nichts als sie. Er erhob sich damit nicht über sie, sondern in dem Bestreben, sie sich untertan zu machen, sie auszunützen, sie zu genießen, versklavte er sich ihr, verlor das Auge für alles andere, verlor den Weg.
Gegeben ward sie ihm von göttlicher Gnade, wie das Wort im Buche Mosis sagt, daß sie ihm eine Heimstatt werde — zum Kerker hat er sie sich gestaltet, aus dem er nun keinen Weg mehr findet, aus dem kein Weg mehr für ihn in die Freiheit führt, sondern nur noch in den Tod. Aber auch der irdische Tod, den er so oft sucht in Verzweiflung, ist keine Erlösung, keine Freiheit, kein Weg, der ihn von der Erde befreit; er verbleibt ihr — unentrinnbar hält sie ihn fest und stürzt ihn in die Tiefe. Er vermag es nicht, sich loszuringen, denn immer wieder versucht er es mit gänzlich falschen.Mitteln!
Es wohnt im Menschen, in seinem Geiste, in seiner Seele Tiefen der Drang, sich über die Erde zu erheben; er meint, es zu erreichen, indem er sich, von Maschinen getragen, in die Luft erhebt, versucht selbst über den ihm zugewiesenen Luftkreis hinaus zu gelangen und muß sie doch mit sich führen in Gefäßen, wenn er nicht sterben will den irdischen Tod, was für ihn mit Tod überhaupt gleichbedeutend ist.
Es ist ihm in die Seele gelegt der Drang, kaum und Zeit zu besiegen. Er versucht es, indem er Kilometer an Kilometer reiht in rasender Schnelle und er hat doch nur erreicht, daß ihm die Erde zu klein ward, zu eng, Bald muß er sehen, den Raum zu erweitern, wenn er nicht ersticken will, denn das Wort vom fruchtbar sein und sich vermehren befolgte er ohne Maß und Ziel. Wie aber soll er es erreichen, den Raum zu schaffen,. da alle der Erde bleiben, in ihr und auf ihr und immer wiederkehren, da kein Weg mehr hinausführt?
Es ist in ihn gelegt, daß er zum Lichte strebt, zur Höhe, der Sonne entgegen. Er kennt aber nur noch die irdische Sonne. — So steigt er auf Berge und setzt sein Leben ein für Täuschung und Trug. Licht soll auf Erden sein, und Licht sollte der Mensch verbreiten, Licht, das ihm selber zuströmt aus dem Urlicht, Licht des Geistes, Licht der Wahrheit.
Er aber hat sich der Erde versklavt, nur grobstoffliches Licht ist ihm noch begreiflich, zugänglich. Die Nächte der Erde, ihm zum Heil gegeben, macht er zum Tage. Dennoch bleibt es dunkel in ihm und um ihn. Millionen und aber Millionen Lampen mag er zum Leuchten bringen — alles bleibt finster und hoffnungslos, denn außer diesem, dem. Licht der Glühlampen, kennt er kein anderes, weil er sich dem Lichte des Geistes verschloß. Er vermag es nicht mehr aufzunehmen und weiter zu tragen.
Klein und trüb ist das Licht, das er sich schuf für das Geisteslicht: das Licht des Verstandes, seine Intelligenz, die er, falsch und verbogen, für „Geist” hält, der aber der Erde gehört und mit ihr stirbt wie die Werke sterben mit ihr, die er aus ihm, aus diesem Schein-Lichte, erzetigt.
Doch es ist in ihm gelegt, daß er die Freiheit suchen muß! Immer sucht er sie. Blutige Kriege liefert er sich, mit Haß verfolgt er die, so ihn seiner Freiheit berauben. Von dem Druck der Erde sollte er frei sein, frei von Verstrickungen der Lüge, frei vom Hang an dein, das die Erde bietet, um den Körper zu erhalten, darinnen er dienen soll der ewigen Liebe, die ihm die Erde gab, daß er dies erstrebe und auf ihr reife zu solchem Dienst.
Aber der Begriff erstarb ihm in der Enge des Kerkers — immer sucht er die Freiheit von der Bedrückung durch seinesgleichen, immer sucht er die Freiheit in der Bequemlichkeit seines Lebens, in der Freiheit von Arbeit und sucht das Heil darin, Maschinen zu bauen, die ihn befreien sollen von allen Lasten, und er sinkt tiefer in dem Hang, sinkt tiefer in die „Erde“ denn zuvor!
Es ward in ihm, den Menschen, gelegt, daß er Herr s e i ! Herr über die Erde und alles, was auf ihr ist, und so erbaute er sich einen Thron, auf ihm zu sitzen und sich zu erheben über alles auf solche Weise durch Hochmut und Gewalt. Es ward daraus ein Kampf aller gegen alle. Er aber sollte Herr sein über sich selbst und sich erheben über die Erde und alles, was sie für ihn hat, um ihm zu dienen in dieser Art, daß er all dieser Dinge nicht mehr bedürfte, als unbedingt sein muß.
Er sollte sich erheben, indem er seinen Blick aufhebt über die Erde zum Urlicht, dem er dienen sollte mit allem seinen Sein, aber er wollte nicht mehr dienen, sondern nur herrschen, nur Herr sein und ward der Sklave seiner selbst und der Erde, da er sich selbst zum Götzen erkor.
So sucht er unablässig nach Freiheit und weiß nicht, wovon er sich befreien soll, weiß nicht, daß er sie umsonst >sucht, wie immer er es auch wolle, wenn er sich nicht v o n sich selbst befreit! Er weiß es nicht, trotzdem er es unabläßig versuchen muß, ohne es zu wissen noch zu wollen. Bibliotheken, Millionen von Bänden füllt er damit an, sich von sich selbst, von seinem Hang, von seiner Herrschsucht zu befreien. Da er aber nur sich selbst kennt, nur von sich selbst spricht, nichts weiß von allem, das über ihm ist, so ist es vergebens. Er verstrickt sich nur umso tiefer in sich selbst und der Druck, der auf ihm liegt, nimmt zu, nicht ab. Die Erde, die er sich untertan machen sollte, beherrscht ihn, legt sich auf ihn, begräbt ihn unter sich, enger und enger wird der Kerker, den er selbst sich erbaut.So ist das Bild, das sich dem Auge des Unbefangenen bietet; so hat der Mensch erfüllt des Herren Wort, daß er sich band an das, was ihm dienen sollte und sich zum unversönlichen Feinde machte, was ihm zum Freund werden sollte, daß er den Weg aus der Stofflichkeit, aus der „Erde“ heraus, an die er sich band durch sein rein irdisches Denken und Streben, nicht mehr zu finden vermag, denn er sucht diesen Weg mit rein irdischen Mitteln, die an sich völlig untauglich sind.
Wie kann man mit ihnen, die doch ebenfalls an Raum und Zeit gebunden sind, Raum und Zeit überwinden? Wie kann man mit Mitteln, die der Erde gehören, an das Schwergewicht des groben Stoffes gebunden, eben diesen Stoff überwinden wollen?
Nein, niemals wird es dem Menschen gelingen, auf solchen Wegen, auf solche Art seinen Kerker zu sprengen, sich das Tor in die Freiheit zu öffnen! Alles Gerede, alle Bestrebungen, alle „Weltanschauungen“, weder die Kunst noch sein Wissen, das sich ja nur mit den Dingen beschäftigt, die der Erde sind und bleiben und mit ihr vergehen vermögen ihm einen Weg in die Freiheit zu bahnen.
All sein Streben nach „Leben“, nach „Licht“, nach „Bewegung“, die alles eigentlich nur eins sind, können Ihm nichts nützen; denn er, der Mensch der Erde, hat keinen Begriff mehr von diesen Begriffen! Er hat sie eingeengt verkleinert, verstofflicht, verfälscht, auch sie sind ihm Teile der Erde geworden, die doch nur seinem Geiste gehören die seinem Geiste eigen sein sollen als das eigentliche Leben, als das eigentliche Ziel seiner Anstrengungen, und als das Mittel zugleich, das ihn herausführen könnte aus der Enge, aus dem Gefängnis, zu dem die Erde ihm ward.
Ein Haus ward ihm gegeben, das er sich wohnlich machen sollte, darinnen zu wohnen eine Zeit und dann weiterzuziehen, schöneren Ländern, hellerem Licht entgegen! Bleiben sollte er in ihm, bis ihm die Schwingen gewachsen waren, frei sich aufzuschwingen. Er sollte sein wie der junge Vogel im Nest, der flügge wird und sich dann aufschwingt, frei der Weite entgegen, der das Nest, in dem er wuchs, ohne Bedauern zurückläßt, sich nicht an dasselbe bindet.
Der Mensch aber hat sich an das Haus gebunden, das ihm gebaut ward. Statt daß ihm wuchsen des Geistes Schwingen, die allein ihn fortführen könnten in seine ferne Heimat, mit denen allein er sich lösen könnte aus dem Stoff, verschrieb er sich dem Stoffe, um mit diesem zu fallen, zu Grunde zu gehen.
Von alle dem, was in ihn gelegt ist, von all dem Sehnen nach den Höhen des Lebens, von dem Sehnen nach dem Licht, blieb ihm nichts mehr bewußt als ein seltsames Treiben, das er verspürt, eine seltsame Unrast, die ihn nicht mehr losläßt, verbunden mit einem Ahnen von dem Untergang, der ihn bedroht in den Umstrickungen der Erde, denen er nun wie in Verzweiflung zu entfliehen versucht mit Mitteln, die ihn zum Schlusse verhöhnen und ihren Finder selbst in die Finsternis und den Untergang stürzen müssen; denn er verläßt sich auf sie — und sie sind nichts!
Aber, so wird entgegnet, es sind Menschen auf Erden, die dies wissen, die da lehren, daß ein Leben sei nach demTode, die wissen, daß das Erdenleben nicht alles ist, sondern nur eine Vorbereitung zu einem anderen und schönerem, das nach diesem kommt; es sind Religionen auf Erden, Philosophen, Bestrebungen aller Art, die zu bessern sich anstrengen, hinweisen und lehren.
Ja, sie sind da! Sie sind, seit Menschen auf Erden im Stoffe gehen, sie waren immer — aber was heute noch auf Erden sichtbar ist von diesen höheren Zielen, sind doch nur traurige Reste einstigen Wissens, traurige Reste eines klaren Wissens vom Wege, den die Erdenmenschheit gehen sollte, voll Irrtümern, unklar, verworren! Sie sind machtlos geworden! Längst schon sind sie es und vermögen nicht zu hindern, daß der Mensch immer tiefer in die Erde versinkt, sich immer weiter an sie kettet.
Wenige sind noch von wahrem Lichte erfüllt ein Weniges — aber alle sind sie einflußlos, sie mögen sich nennen, wie sie wollen. Die meisten sind ein krasser Irrtum und Aberglaube, dunkel und schmerzlich, geeignet abzustoßen, nicht anzuziehen, zu verwirren, nicht zu klären, zu drücken, nicht zu erheben. Sie mögen sich nennen, wie sie wollen, sie sind nicht imstande, auch nur das Geringste zu ändern — sie können nicht herausführen aus dem Gefängnis der Erde — sie sind zu schwach dazu, es fehlt die göttliche Kraft, die allein der Wahrheit innewohnt — esfehlt die Klarheit, die allein dem wahren Lichte eigen ist.
Viele, denen Millionen und Abermillionen Menschen folgen, sind Hemmungen anstatt Hebungen — sie alle aber, sie mögen sich nennen wie sie wollen, ob Lamaistnus, Buddhismus, ob es sich um Fetischanbeter handelt oder ob der Chinese Ahnenkult treibt usw. — sie alle sind nicht Gottesdienst, sondern Menschendienst, ob sie ihre Zusammenkünfte auch so nennen oder nicht — in ihnen allen dient der Erhabene dem Menschen, schmeichelt und umwirbt ihn. Was aber allein den Menschen herausführen könnte aus dem Gefängnis, das er sich schuf, ist reiner Gottesdienst — nichts anderes! —
Wenn aber nun einer kommt und redet zu ihnen und spricht die reine Wahrheit, so hassen sie ihn und verfolgen ihn. Wenn einer kommt und spricht:
„Selbst müßt Ihr Euch regen im Geiste! Die Arme müßt Ihr ausstrecken gegen das Licht und Euch ihm öffnen, daß Euch in seinem Strahle die verkümmerten Schwingen des Geistes wachsen, die allein Euch hinauftragen können in Höhen, die der Erde unerreichbar sind, die Euer erdgebundener Verstand, dem allein ihr vertraut, dem Ihr Euch versklavt habt, nie wird erreichen können“ wenn nun einer kommt und spricht:
„Sucht nicht immer Euch selbst! Wendet Euch hinweg von Eurer Selbstsucht, die in allem Euren Wirken ist, in Euren Religionen ebensowohl als in Eurem Streben auf Erden, wendet Euch in Wahrheit zu Gott, dienet Ihm wahrhaftig“ — wenn nun einer kommt und spricht und lehrt sie erkennen seinen Willen, den er als seine Gesetze in seine Schöpfung gelegt, damit sie es vermögen, zu leben in ihrer Harmonie, wenn er sie lehrte, das Heilige zu schauen, daß aus ihm, dem Heiligen, ihnen erblühe das Heil, die Heilung — wenn er ihnen sagt:Leget ab Euer falsches Herrentum, das Euch der Erde versklavt und mit Nacht und Grauen. Euch umgibt und mit dem Ende bedroht, dem Ende im erdrückenden Stoffe — legt es ab und dienet, dient dem ewigen Willen des Ewigen, er wird Euch herausführen aus dein Kerker und das Tor des Lebens öffnen“ — werden sie ihm folgen und die Hand ergreifen, die er ihnen entgegenstreckt? Werden sie sich führen lassen oder werden sie ihn verfolgen, wie sie verfolgt haben alle, die ihnen wirklich helfen wollten, indem sie ihnen die harte, heilsame Wahrheit kündeten über sie selbst, die ihnen das klare, reine Licht brachten?
Werden sie wiederum es bequemer finden, ihren Maschinen sich anzuvertrauen, mit ihnen um die Erde zu rasen, die Freiheit zu suchen von Raum und Zeit, die sie niemals finden werden auf solche Art, als selbst sich zu regen, selbst die wachsenden Schwingen zu breiten?
Wachet auf, Menschen, es ist höchste Zeit! Die Erde bereitet sich, Euch in ihre Tiefe zu ziehen, unentrinnbar, bis sie zerspringt und zerstäubt und was mit ihr ist, vernichtet wird, wie es vorgesehen ist im Plane der Schöpfung, in der immer neu sich formen muß, werden und vergehen, was nicht des reinen Geistes ist. Suchet und forschet, so werdet Ihr finden! Noch nie, so lange die Erde ihre Bahn rollt um der Sonne Feuerball, ward Euch solche Hilfe geboten, wie nun in letzter Stunde — und nie wieder wird sie Euch werden!